Freitag, 27. Februar 2009

Schlafmittel

Seit 2007 kriege ich dreiwöchentlich eine Infusion mit HER2-Antikörper (Trastuzumab, Handelsname Herceptin®) und dem Antiallergiekum Tavegyl verabreicht. Mittlerweile komme ich mit den Nebenerscheinungen ganz gut zurecht. Regelmässig versetzt mich das Tavegyl für zirka 24 Stunden in einen Dämmerzustand. Eine Pflegefachfrau meinte vor einiger Zeit zu mir: Tavagyl ist das beste Schlafmittel - ohne eines zu sein! In der Tat, kurz nach der Injektion werde ich umgehend schläfrig und tauche ab in andere Sphären. Im Zeitlupentempo nehme ich nun die Geschehnisse um mich wahr. Als wäre ich nicht ganz in meiner Haut, verschoben, neben mir stehend, nur bedingt reaktionsfähig. Ich muss gestehen, dass mir dieses Gefühl inzwischen nicht ganz unangenehm ist. Ich lasse mich für eine ganze Nacht und einen langen Tag unter einer schweren Nebeldecke begraben. Ich versinke in einen tiefen, angenehmen Schlaf und lasse mich treiben. In dieser Zeit tickt meine innere Uhr anders. Meine Glieder sind schwer wie Blei, nichts kann sie dazu bringen sich zu bewegen. So tauche ich wie in Watte gepackt unentwegt in wirre, kurze Traumsequenzen ab. Ich lasse es mir bei meinem 3-Wochen-Rythmus-Schlaf-Trip gut gehen!






Sonntag, 22. Februar 2009

Postkartengruss

Als Patientin hege ich sozusagen sentimentale Gefühle gegenüber meinen ÄrztInnnen und Pflegefachfrauen. Die Profis sind es, die über meinen Gesundheitszustand Bescheid wissen und mich auch als Mensch im Dreiwochen-Rhythmus kennen. Von ihnen kriege ich wenn nötig die beruhigenden, klärenden, sachlichen Worte, die mich vor dem freien Fall bewahren. Ich bin Langzeit-Dauer-Patientin. Das bedeutet für mich, dass ich mich von Zeit zu Zeit von einem der mir lieb gewonnen medizinischen Fixsterne verabschieden muss, weil der Fixstern weiterzieht und seine Leuchtkraft anderorts zum Leuchten bringt.
So schrieb ich vor einiger Zeit Dr. M. L. St. einen Kartengruss, um mich bei ihm zu bedanken und ihm für die Zukunft alles Gute zu wünschen.

Just am Tag meiner Herceptinabgabe lag eine Antwort im Briefkasten, über die ich mich sehr gefreut habe. M. L. St. schreibt, dass er am neuen Ort herzlich aufgenommen worden und gut gestartet sei. Mich wundert das keineswegs, bei soviel Kompetenz und Herzlichkeit!






Samstag, 7. Februar 2009

Genussmensch

Seit meiner Diagnose bin ich eine bewusstere Geniesserin geworden. Ich stelle mir vertmehrt die Frage nach dem Sinn des Lebens und mache mir Gedanken darüber, was ich in Zukunft noch unbedingt erleben möchte und könnte. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse ist, dass ich mein weiteres Leben mit all seinen Facetten in Zukunft bewusster wahrnehmen und geniessen will. Träume sollten nicht länger aufgeschoben werden, wer weiss, was in ein paar Tagen, Monaten, Jahre sein wird.
E-Gitarre zu spielen war bis vor einem Jahr einer dieser Wunschträume. Inzwischen übe und spiele ich täglich: eine Bereicherung und Herausforderung zugleich.
So reihen sich kleine und grosse Momente, Erfolge und Fixpunkte des alltäglichen Lebens wie Perlen an einer Schnur aneinander. Die Perle des heutigen Tages: Mein Liebster hat mich zu einem vorzüglichen Abendessen in den Bederhof ausgeführt, wo man die besten Pommes Allumettes der Stadt zu essen kriegt! Die Perle des Vortages: Ich habe mich mit meiner Freundin Maya in der Pasticceria Caredda verabredet, da gibt es die schönsten Hochzeitstorten und vorzüglichsten Süssigkeiten der Stadt zu bewundern und natürlich auch zu geniessen. Ich möchte sie nicht mehr missen, meine Perlen die in regel- und unregelmässigen Abständen den Alltag verschönern und zum schillern bringen.






Sonntag, 1. Februar 2009

Psychohygiene

Seit ich weiss, dass ich BRUSTkrebs habe, treibe ich mehr Sport. Vor der Diagnose bin ich dreimal wöchentlich je eine halbe Stunde joggen gegangen. Das war mein Beitrag an meine Fitness. Ich muss gestehen, inzwischen bin ich ein richtiger Sportjunkie geworden. Mit meiner Schwimmfreundin Piroska besuche ich wöchentlich das Hallenbad. Gedankenlos, einzig die zurückgelegten Bahnen zählend, schwimme ich schwerelos im Wasser bis ich insgesamt zweiunddreissig mal gewendet habe und schliesslich nach 1200m zufrieden aus dem Schwimmbassin steige.
Zur Belohnung geniessen wir danach einen Kaffee, sowie ein Glas Wasser und tauschen dabei unsere ins Bewusstsein zurückgekehrten Gedanken aus.
An drei bis fünf Wochentagen gehe ich rennen. Diese Tätigkeit eignet sich vorzüglich als „Psychohygiene“. Durch die Natur rennen befreit meinen Kopf und gibt mir die mentale Stärke mit meiner Situation als Krebskranke umzugehen. So lassen sich meine Rück
enschmerzen gut ausblenden und vergessen machen.
Mein Körper schüttet Adrenalin aus und die Glückshormone belagern mein Hirn. Im Gegensatz zum Schwimmen gehen mir während des Rennens viele Gedanken durch den Kopf. So entstehen skizzenhafte Ideen für eine Arbeit oder Texte werden vorformuliert. Manchmal lasse ich aber einfach nur die Natur wie in einem Film Kilometer für Kilometer an mir vorüberziehen.
Dabei gibt es immer wieder Neues, noch nie Wahrgenommenes auf derselben Rennstrecke zu entdecken:
In luftiger Höhe an einem Ast eines Baumes baumelt ein an einer Schnur befestigtes graues Kissen, ein Eichhörnchen ergreift eilig die Flucht, ein Fahrradfahrer dreht seine Runden auf der eisbe
deckten Sihl...