Sonntag, 26. Juli 2009

Personal Jesus*

Im Ambulatorium, das ich im Moment jede Woche aufsuche, erlebe ich sozusagen hautnah, wie wir Betroffene den Umgang mit unserer Krankheit auf die unterschiedlichste Art und Weise "pflegen"...
Die Palette ist üppig und manchmal auch sehr absurd. Von spiritueller bis hin zur religiösen Verarbeitung und Bewältigung der Krankheit wird untereinander ausgetauscht was angeblich helfen soll.
Sind wir – für die Schulmedizin unheilbar krank – vielleicht besonders empfänglich für das Spirituelle, für die Religion und alles, was Hilfe und Trost verspricht?
Für mich persönlich jedoch, sind bestimmte “Methoden“ schlicht und einfach Schabernack, nicht nachvollziehbar. Da erhofft sich eine Patientin mit Hilfe eines Jesus-Traktates, welches sie sich abwechslungsweise über ihr Nase und vor ihre Augen hält, betend den unliebsamen Geruch ihrer Chemotherapie zu vertreiben. Eine andere Patientin trinkt täglich einige Tropfen EM-Bokashi (Effektive Mikroorganismen EM nach Prof.! Higa) und eine andere lässt sich von einem angereisten Heiler über Augenkontakt tief ins Innere ihre Seele blicken und hofft, dass sie dadurch von der Krankheit geheilt wird.
Und ich? Ich glaube an die Chemotherapie, das werde ich aber nie gefragt.
Ja, manchmal wird mir etwas Bange, wenn ich zu hören bekomme, was alles im Kampf gegen Krebs helfen soll. Dann tauche ich in meine eigene innere Welt ab und denke mir: Was soll's! Ich wünsche allen ihren “Personal Jesus“, Aber-Glaube hin oder her, Hauptsache es hilft. In diesem Sinn habe auch ich meinen “Personal Jesus“ gefunden: Joggen!
Eines ist mir klar, mein Personal Jesus kann mich nicht vom Krebs heilen, aber ich fühle mich einfach gut mit IHM!

Aus meiner JesusSAMMLUNG




*Personal Jesus
Depeche Mode, 1989
Feeling unknown
And youre all alone
Flesh and bone
By the telephone
Lift up the receiver
Ill make you a believer

Take second best
Put me to the test
Things on your chest
You need to confess
I will deliver
You know Im a forgiver

Reach out and touch faith
Reach out and touch faith

Your own personal jesus...

Feeling unknown
And youre all alone
Flesh and bone
By the telephone
Lift up the receiver
Ill make you a believer

I will deliver
You know Im a forgiver

Reach out and touch faith
Your own personal jesus
Reach out and touch faith






Sonntag, 19. Juli 2009

Der Himmel ist purpur

Eine produktive chemofreie Woche liegt hinter mir! Meine Schmerzen konnte ich mit meinen „little helpers“ gut in Schach halten, so dass ich nur wenige Gedanken an meine Metastasen und Krebszellen verschwenden musste und mich so mit anderen Dingen befassen konnte.
Die chemofreie Woche lässt mich sogar ein wenig übermütig und hyperaktiv werden. Einfach himmlisch!
Seit Mittwoch beschäftige ich mich intensiv mit der Farbe Purpur: Wenn ich im Tempo einer Purpurschnecke langsam des Weges jogge (war vor der Chemo um einiges schneller!) oder an einem gestalterischen Arbeitsauftrag virtuell durch überlebensgrossse, purpurfarbene Tulpenfelder schlendere.
Die Farbe Purpur und die mit ihr verwandten Farben Fuchsia, Magenta, Pink, Rosa, Mauve und Violett begleiten und beflügeln mich von Tag zu Tag. Meine Lust auf pinkfarbene Lebensmittel ist nach wie vor ungebrochen.
Ja, manchmal ist der Himmel einfach nur purpurfarben!
 
Detailansicht: © Pipilotti Rist
in collaboration with Irene Gattiker







Sonntag, 12. Juli 2009

Statistitik

In dieser Woche ist unsere Hausgemeinschaft um ein weiteres Mädchen angewachsen. Nun sind es insgesamt fünf Mädchen und zwei Knaben im Alter von 4 Tagen - 5 Jahren, die unsere Gemeinschaft bevölkern und beleben. Ich geniesse es miterleben zu dürfen, wie die kleine grosse Rasselbande beginnt, die Welt um sich zu entdecken.

Natürlich möchte ich möglichst lange miterleben, wie die Kinder grösser und grösser werden. Einfach leben – miterleben, so lange es mir möglich ist. Ganz speziell in diesen Momenten kriege ich es jeweils mit der Angst zu tun, weil ich weiss, dass mein Leben an einem seidenen Faden hängt und nicht ewig dauert... Dann stelle ich mir die Frage, wo ich statistisch mit meinem Krankheitsverlauf und mit meiner Lebenserwartung einzuordnen bin. Liege ich im hinteren Ende der Gauss'schen Glockenkurve oder gehöre ich zum Durchschnitt? Oder gar am Anfang? Für mich ist klar, ich will natürlich ausserhalb jeglicher statistischer Erhebungen und Normalverteilung liegen, ich arbeite unerbittlich daran. Medis sei Dank!
 
Standardabweichung:



 



Sonntag, 5. Juli 2009

Le tapis volant

Nachdem ich mich in der letzten Woche von meiner hartnäckigen Erkältung erholt hatte, steht einer erneuten Chemotherapie nichts mehr im Wege. Nach meinem Arztgespräch beziehe ich wie schon viele Male zuvor im Ambulatorium eine von sechs Liegen. Die mit klarblauem Kunstleder überzogenen Liegen erinnern mich atmosphärisch an Szenen aus dem Film Raumpatrouille Orion...
Bevor ich es mir auf der Liege
gemütlich mache, wechsle ich in bequeme Schlampenlook-Klamotten. Schliesslich handelt es sich hier nicht um einen halbstündigen Zahnarztbesuch, sondern um eine mehrstündige Sitzung, die sich bis in den frühen Abend hinziehen kann. Dann bedecke ich die Liege mit einem Badetuch, um zu verhindern, dass ich auf der Liege übermässig ins Schwitzen komme und nach mehreren Stunden mit durchgeschwitztem Hosenboden von der Liege rutsche. Pflegefachfrau L. G. nannte mein Badetuch unlängst: „Der fliegende Teppich von Frau Gattiker!“ Und so starte ich mit meinem fliegenden Teppich in eine neue Taxol-Weekly.

Rückblickend eine wunderbare Sommerwoche, in der ich meinen Geburtstag mit meinem Liebsten bei einem Nachtessen im Bederhof feierte, in der mich Blumen, Mails, Glückwunschkarten (u.a. mit dem ermutigenden Titel „fight it out“) erreichten und freuten, in der ich seit längerer Zeit wiederholt früh morgens durch den Uetlibergwald joggen mochte, wenn auch viel kürzere Strecken wie vor Beginn meiner Chemotherapie... Das war einfach wunderbar!
 
Badetuch by Sonnhild Kessler / „fight it out“ by Yoshitomo Nara