Sonntag, 27. September 2009

Berge

In meinem Atelier türmen sich inzwischen kleine Berge verschiedener Reiseutensilien zu einer imposanten Landschaft auf. Berge werden bestiegen oder man fährt durch sie hindurch. Es gibt Berge von Unerledigtem. Grosse und kleine Sorgen können sich imposant auftürmen und lassen ganze Gebirgszüge im Leben eines jeden Menschen entstehen. Vor unserer Japanreise sind es kleine Papierhügel des Unerledigten, welche noch unbedingt abgetragen werden müssen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob ich dies nicht schon vor Wochen hätte erledigen können? Nein, denn da hatte ich noch alle Zeit dieser Welt um es zu erledigen. So habe ich diese „kleinen Hügel“ immer wieder aufs Neue von einer Tischkante zur andern geschoben... Jetzt sind es Berge.

Und dann rückt der Reisetermin von Tag zu Tag näher und ich entwickle einen Aktivismus um die Berge effizient abzutragen. Auch aus Vorfreude. Da wird das unverhoffte CT und das Röntgen vom Donnerstag zu einer Nebensache, die ich by the way über mich ergehen lasse. Es mag kommen, was will – auf die Reise gehen wir ja so oder so... 

Japanische Landschaft Nr.1 mit Blick auf Urirotstock, 27. September 2009
Foto: B. Zgraggen




 



Sonntag, 20. September 2009

Un ga ii desu ne!*

Wegen mangelnder Platzkapazität wurde meine Chemotherapie von dieser Woche vom Montag auf den Mittwochnachmittag verschoben.
Das “unerwartete Glück“ nahm seinen Anfang im Pflegefachfrauen-Zimmer bei Frau A. L., wo ich als erstes jeweils auf die Waage stehe und heute erkennen muss, wie ich von Mal zu Mal in kleinen Schritten an Gewicht zulege. Das kann doch wohl nicht alleine an meinem ungestillten Erdbeerkonsum liegen? Danach wird mir der Blutdruck gemessen. Normalerweise bleibt jeweils nicht viel Zeit für ein Gespräch. Aber an diesem Nachmittag sitzen wir uns am Arbeitstisch gegenüber und unterhalten uns über dies und das. Keine Hektik auf der Station F? Es scheint, als ticke die Spitaluhr für einmal ganz anders.

Auch die Ärzte Frau Dr. H. P. und Prof. H. H. nehmen sich Zeit für ihre Patientin. Folglich beschert mir die genaue Betreuung durch die beiden noch ein CT und ein Röntgen vor unserer Abreise nach Japan. Das kann mir eigentlich nur Recht sein. Die Werte des “unspezifischen“ TM sind zwar erfreulich, aber wie sieht es inzwischen mit meinen Knochen und meinem Leberfleck aus? Zeigt die Therapie ihre erwartete Wirkung?

Nebst den medizinischen Belangen haben wir uns auch über viel Persönliches unterhalten. Zum Beispiel über Gemeinsamkeiten wie das Rennen. Prof. H läuft seit einiger Zeit dreimal wöchentlich seine 18 km und nimmt dieses Wochenende am Greifenseelauf teil. Neid!! Ich kann im Moment nur von langen Strecken träumen und laufe im Schneckentempo meine 6 bis 8 km. Frau Dr. P läuft jeweils Kurzstrecken von 6 km. Eines ist uns aber allen gemein: die Endorphine fahren bei langen, wie auch bei kurzen Strecken ein.

Solche Arztgespräche, in denen sich das medizinische und persönliche ineinander verquicken, mag ich sehr. Ein bisschen Smalltalk gehört für mich zu einem professionell geführten Arztgespräch. Aber bedauerlicherweise verfügen noch lange nicht alle ÄrztInnen über die Begabung und die Routine, mit ihren Patienten ein gutes Gespräch zu führen. Es ist mir bewusst, dass im Spitalalltag für längere Gespräche meistens die nötige Zeit fehlt und Effizienz gefragt ist. Mir persönlich sind aber die kurzen “Abfertigungsgespräche“ ein Gräuel. In solchen Momenten verlasse ich jeweils das Besprechungszimmer wie ein begossener, verunsicherter Pudel...

Aber manchmal hat man eben so ein Glück, wie an diesem Mittwoch, als meine medizinischen Fixsterne zum Wohle ihrer Patientin das Zeitmanagement in die Wüste geschickt haben...
 
*So ein Glück






Sonntag, 13. September 2009

Konnichiwa

In der vergangenen, chemofreien Woche erholte ich mich gut und widmete mich u.a. unserem gemeinsamen Reisetraum, der von Tag zu Tag näher rückt. Virtuell bereiste ich wie schon einige Male zuvor „das Land der aufgehenden Sonne“. Das ist nicht immer einfach, denn ich verstehe kein Japanisch, und wenn überhaupt vielleicht nur die paar Worte, die man in jedem Reiseführer finden kann. Japans verschiedene Schriftarten haben unterschiedliche Funktionen und werden in Alltagstexten parallel verwendet.
Bestimmt werde ich in diesem Leben als vergessliche Chemotherapiepatientin nicht mehr Japanisch lernen. Aber wer weiss, vielleicht komme ich ja in einem anderen Leben als Japanerin zur Welt?
Es ist seltsam, nicht zu wissen wie man seinen eigenen Namen (jp. namae) schreibt und ausspricht. So haben wir
eine Bekannte, die Japanerin ist, darum gebeten, unsere Namen und unsere Berufe in Japanisch aufzuschreiben. Damit ich diese in unsere eigens von mir für die Reise entworfenen Visitenkarten (jp. Mishi) übernehmen kann.
Mein Vorname und Name schreibt sich so: イレ
ーヌ・ガッティカー

Aus den Büchern entnehme ich, dass das soziale Verhalten in Japan sich in sehr vielen Punkten von unserem unterscheidet. So erfolgt die Übergabe einer Mishi mit beiden Händen und anschliessendem Verbeugen. Es scheint mir unvermeidlich, dass wir Ausländer (jp. Ganijin) während unserer Reise durch Japan in unzählige Fettnäpfchen treten werden, was unsere Vorfreude aber keinesfalls mindert!
 
Japan-netsu...






Sonntag, 6. September 2009

Schmerzen

Es gibt Tage, die sind ziemlich anstrengend. Dann, wenn körperliche und seelische Schmerzen meinen Tagesablauf bestimmen. Heute war wieder einmal ein solcher Tag, an dem ich mit Schmerzen aufgewacht bin. In den Knochen lodert der Schmerz in kleinen Intervallen auf und breitet sich dann aus. Wie sich meine Schmerzen ausbreiten, lässt sich auf eine wunderbare Art und Weise visuell nachvollziehen: Indem man beide Augen fest zusammenkneift und verfolgt, wie sich die farbenen Flecken aus der Finsternis ausdehnen und zurückbilden, um sich erneut zu formieren und auszubreiten...
Der körperliche Schmerz ist ein ständiges Kommen und Gehen. Mit Schmerzmitteln versuche ich diesen zu unterdrücken, was nicht immer gelingt. Dann fühle ich mich wie heute ziemlich mies, machtlos und ferngesteuert.
Je länger meine Chemotherapie andauert, umso mehr habe ich das Gefühl, körperlich reduziert leistungsfähig zu sein. In meinen Beinen steckt die Müdigkeit wie Blei. Mein Kopf hingegen denkt und lenkt ohne Müdigkeit. So absolviere ich weiterhin kleine Lauftrainings. Abwechslungsweise mal joggend, mal gehend. Heute war ich mit meinem Mann zusammen unterwegs. Er passt sich liebevoll meinem Schneckentempo an und ist im richtigen Moment mein unersetzlicher Motivator!
Am diesjährigen Greifenseelauf werde ich vernünftigerweise nicht teilnehmen. Natürlich trifft das mein Ego – und meine Seele – aufs schmerzlichste, wenn ich an meine Glanzleistung vom vergangenen Jahr zurückdenke!
Bestimmt sieht nächsten Sonntag aber alles wieder ganz anders aus. Denn ich hoffe, dass ich nach einer chemofreien Woche erholt und mit weniger Schmerzen am bloggen bin!

Wenn Bob Dylan seine Stimme einem Satelliten-Navigationssystem leihen wird, stellt er sich seine Anweisungen so vor: „Bei der nächsten Strasse links. Nein, rechts. Weisst du was? Fahr einfach gerade aus.“ Solche Anweisungen würden meinen Schmerzen bestimmt gefallen...