Sonntag, 31. Juli 2011

Prinzessin auf der Erbse

Es gibt keine Prognosen! Aber meine Situation ist alles andere als harmlos, wie ich diese Woche im Krankenhaus erfahren durfte.

Ich fühle mich wie die Prinzessin auf der Erbse, gebettet auf zahlreichen Kissen und in der Hoffnung auf etwas Besserung. Den ganzen Tag bin ich damit beschäftigt kleine Esssenshäppchen zu mir zu nehmen um an Gewicht zuzulegen, um wieder zu Kräften zu kommen! Nur so habe ich eine Chance, den Kopf vielleicht nochmals aus der verdammten Schlinge ziehen zu können. Es ist eine Grenzerfahrung von einer ganz besonderen Art, eine Himalaya-Expedition mit ungewissem Ausgang...

Mein Liebster und ich weinen uns wieder einmal in den Schlaf und hoffen auf Besserung und noch viel gemeinsame Zeit!
Bin glücklich so viel Zuspruch und Unterstützung von lieben FreundInnen erfahren zu dürfen!





Sonntag, 24. Juli 2011

Ausschleichen

Am Mittwoch, als meine Hirnmetastasen ein letztes Mal bestrahlt wurden, wiederholte ich unablässig mein Bestrahlungsmantra: "Haut ab, haut ab, haut ab..."
Dr. H. der mich während der Bestrahlungszeit begleitete, meinte bei der abschliessenden Austrittsuntersuchung, dass ich ja nicht auf die Idee kommen sollte ihn in Zukunft jemals wieder zu besuchen... Das ist natürlich ganz in meinem Sinne, obwohl ich vom Radioonkologie-Team freundlich und einfühlsam betreut wurde.

Das Cortison wird nun "ausgeschleicht". Es ist zu hoffen, dass die Hirnmetastasen durch die Bestrahlung verschwinden und sich mein Körper erholt. Auf dass mein Appetit zurückkehrt und ich an Gewicht wieder zulege!
Ich bin gedanklich erleichtert, aber ich fühle mich immer noch sehr unsicher auf den Beinen. Ich schwanke seegangmässig und werde von der Aussenwelt als Alk oder Junkie wahrgenommen... Ein Straucheln, das mit einem möglichen Knochenbruch enden könnte, kann ich mir in meinem Zustand nicht leisten. Deshalb kaufe ich mir eine Gehhilfe. Sie zeigt Wirkung! Die Leute machen nun einen schönen Anstandsbogen um mich...





In der Nacht auf Sonntag jucken meine Haarwurzeln unerträglich. Wenn ich durch meine Haare fahre bleiben ganze Büschel in meinen Händen zurück. Kurzerhand schneidet mein Liebster (auf meinen Wunsch!) mit der Maschine mein Haar auf 6mm zurück. Das bringt Linderung! Ich bin auf Erholungskurs...
Fotos: B. Zgraggen


 
 


Sonntag, 17. Juli 2011

Es geht weiter

Täglich pilgere ich zu unterschiedlichsten Zeiten in die Klinik für Radioklinik und Nuklearmedizin des Triemlispitals, um mich strahlentherapeutisch behandeln zu lassen.
Ich fühle mich sehr gut aufgehoben und umsichtig freundlich betreut!

Während ich in dieser Woche ungeahnte Kräfte freisetzen kann, muss ich jedoch immer wieder erfahren, dass mein Körper an seine Grenzen stösst. Er lässt mich nicht nur körperlich straucheln, sondern auch mental.
Wenn meine Freunde fragen, wie sich meine Situation geändert hat, setzt sich in meinem Hals ein kleiner Kloss fest. Er lässt meine Stimme vorübergehend versiegen, meine Augen verschleiern sich mit Augenwasser...

Zu Beginn der Woche sitze ich im Atelier meiner Freundin P.R. Sie zeigt mir ihre Arbeit an der diesjährigen Biennale in Venedig. Da segelt ein MRI-Hirn durch den Himmel einer Vedute von Venedig, der Himmel vergrössert sich und die Phantasie breitet sich aus! Eine beflügelnde Aussicht für mein Kleinhirn in Nöten...

Am Ende der Woche besuche ich zusammen mit meinen Freundinnen I.M. und D.H. die Ausstellung "Rosenstrumpf und dornencknie" im Medizinhistorischen Museum Zürich. Gezeigt werden Werke aus der Psychiatrischen Pflegeanstalt Rheinau 1867-1930. Ein Hutobjekt von Lisette H., gestrickt aus Seegras, gefällt mir besonders gut. Es erinnert mich an mein Auffangnetz, das mein Liebster und meine Freundinnen in diesen schwierigen Zeiten schützend um mich spinnen, um mit mir zusammen den ungewissen Pfad entlang zu schreiten...
Während der Bestrahlung sitzen sie in der Überwachungszentrale und beobachten das Geschehen, das sich für mich täglich wiederholt. Auch als eine notfallmässige Laboruntersuchung vorgenommen wird, bleiben alle drei begleitend an meiner Seite, bis ich schliesslich mit einer erhöhten Medikamentendosierung ins Wochenende entlassen werde...

Die kulinarischen Aufmerksamkeiten dieser Woche erfreuen unsere Gaumen: die Caramel mit Trüffeln von E.B., die selbst gebackenen Hexenfinger von C.St. (auf dass sie hexen!) und die Hühnerbouillon mit Ravioli von B.L. gestern Samstagabend... Herzlichen Dank!





qq

Sonntag, 10. Juli 2011

Kleinhirn in Nöten

Am Donnerstagnachmittag liege ich beweglos mit Gehörschutzstöpseln versehen während einer guten halben Stunde auf einer Liege. Die ohrenbetäubenden klopfenden Geräusche des Magnetresonanztomografen dringen trotzdem in meinen Gehörgang. Meine Hände ruhen auf der Bauchdecke und ich nehme die pochende Bauchschlagader wahr. Mein Herz hämmert aufgeregt im Takt der klopfenden Geräusche...

Am folgenden Morgen klingelt das Telefon. Als ich die Stimme meiner Onkologin Frau St. vernehme, ahne ich nicht Gutes! Kompetent und auf eine gute Art und Weise klärt sie mich über die schlechten Untersuchungsrgebnisse meines Hirn-MRIs vom Donnerstag auf.
In meinem Kleinhirn haben sich nun doch Metastasen gebildet. Einmal mehr kullert mir das Wort Scheisse aus dem Mund! Meine Ärztin meint, jeder weitere Tag ohne therapeutische Gegenmassnahme sei einer zuviel!
Mit meinem Liebsten (er hat sich extra von der Arbeit freigemacht) sitze ich schon am Mittag meinem Careteam aus der Frauenklinik Maternité gegenüber. Wir werden über die Situation genau aufgeklärt. Unsere Fragen werden beantwortet und das weitere Vorgehen wird besprochen.


 
 

Die MRI-Bilder sind mehr als nur beeindruckend. Meine Metastasen sind in allen unterschiedlichen Bilddarstellungen unübersehbar. Sie bringen mein Kleinhirn in Bedrängnis.
Einmal mehr bin ich ein Notfall! Meine Chemotherapie mit Xeloda wird vorübergehend unterbrochen und ich werde neu mit "Vollmondgesicht"-Tabletten versorgt. Sie haben entzündungshemmende Wirkungen gegen unliebsame Nebenwirkungen der Bestrahlung. Meine Kleinhirn-Metastasen werden bereits am späten Nachmittag erstmals bestrahlt.


 
 

Ich bin traurig. Es beschäftigt mich sehr, dass die Metastasen nun auch in meinem Kleinhirn zu wachsen begonnen haben! Das Kleinhirn ist unter anderem für die Feinabstimmung und Koordination von Bewegungsabläufen zuständig. Im Schädel ist nun wirklich kein Platz für unliebsame Krebszellen, die mein Kleinhirn einfach gesagt zusammenquetschen!
Ich hoffe, dass sich die Metastasen nach insgesamt zehn Bestrahlungssitzungen verkrümeln werden. Ich hoffe, dass mein Kleinhirn danach seinen Platz wieder zurückerobert. Erst wenn auf den neuen MRI-Bildern "nichts" mehr zu sehen ist, kann ich mich glücklich schätzen und meine schwindelerregenden Zustände gehören der Vergangenheit an!
Obwohl ich mir im Klaren bin, dass sich die Krebszellen wie Schläfer verhalten und irgendwann wieder aufwachen werden...

Cogito ergo sum — Ich denke also bin ich (noch?) (René Descartes)
Alle Fotos: B.Zgraggen





Samstag, 2. Juli 2011

Schwindelerregend

Als wir am späten Samstagnachmittag im Hotel Hyatt Regency in Mainz einchecken wollen, ist unser Zimmer leider noch nicht bezugsbereit! Bei einem Getränk auf Kosten des Hauses machen wir es uns in der Lounge gemütlich und warten.
Plötzlich fährt ein schwarzer Bus mit der silbergrauen Beschriftung BEAT THE STREET vor den Eingang des Hotels. Bei der Rezeption macht sich eine erhöhte Geschäftigkeit breit...
Könnte es sich um einen Tourbus von Bob Dylan und seiner Entourage handeln? Einen Blick auf Bob würde uns über den verspäteten Zimmerbezug in der Edelherberge hinwegtrösten...

Nach 40 Minuten beziehen wir dann endlich unser Zimmer "mit Sicht auf den Rhein". Der wartende Bus steht noch immer vor dem Hoteleingang, direkt unter unserem Fenster. Während wir nun geduldig auf unser Handgepäck warten, beobachten wir, wie die Hotelboys mit grossen Handwagen Kofferberge zum Bus karren. Dann werden alle Lucken geschlossen und der Bus rollt davon.
Nun findet schliesslich auch unser Gepäck den Weg ins Zimmer.

Eine Stunde vor Konzertbeginn warten wir zusammen mit vielen anderen BesucherInnen eng aneinanderstehend auf den Auftritt des alten Herrn und seiner Band. Schmerztabletten hatte ich bereits im Vorfeld eingenommen.
An meinen Liebsten gelehnt und oft auf Zehenspitzen stehend erlebe ich einen entspannten und gut gelaunten Bob Dylan. Mit seiner Band spielt er sich während zweier Stunden durch Stücke aus den verschiedensten Werkepochen.
Und mit einer sehr schrägen und ganz tollen Version von "Blowing in the Wind" entlässt er uns in die Dämmerung. Seine Band stellt er diesmal nicht vor, dafür verneigen sich am Schluss alle brav vor dem Publikum und Bob lüftet kurz seinen schwarzen Hut.
Dann stolpere ich am Arm meines Mannes - leicht schwindlig - über die Wiese. Vor unseren Augen rollt ein schwarzer BEAT THE STREET-Tourbus mit abgedunkelten Scheiben langsam vom Konzertgelände!
Also doch...

Ist B.D. nun drin oder nicht!? Mainz 2011