Sonntag, 30. Oktober 2011

Auf Wanderwegen

Im herbstlichen Licht liess ich vergangene Woche meine Augen während ausgiebiger Spaziergängen über die gelbverfärbten Lärchenwälder und verschneiten Bergspitzen des Engadins streichen. Zusammen mit meinem Liebsten verbrachte ich einige erholsame Ferientage in Vnà.




Langsam ging es über Stock und Stein bergauf und bergab. Zu meiner Verwunderung schaffte ich täglich jeweils über 10 Kilometer! Muskelkater inklusive... Solange der Untergrund der Wanderwege genügend hart und breit war, hatte ich keine Probleme mich mit Hilfe meines Stockes fortzubewegen.




Doch auf dem weichen Untergrund einer Wiese schien mein Fuss den Kontakt zur Kommandozentrale meines Hirns verloren zu haben.
Eine Ermüdungserscheinung? Ziemlich verärgert versuchte ich dem Einknicken meines Fusses Einhalt zu gebieten. Erfolglos, die Botschaft konnte nicht weitergeleitet werden. So retteten wir uns auf einen grossen Stein. Mit der Landkarte orteten wir die verschneiten Bergspitzen rundherum: Piz Ajuz, Piz Dadora, Piz Dadaint...




Nach dieser Pause konnte mein Fuss den Kontakt zur Kommandozentrale wieder lückenlos aufnehmen. Mein Fuss gehörte wieder mir und so zottelten wir gemütlich weiter.


Sonntag, 23. Oktober 2011

Spaziergang

Zusammen mit meinem Liebsten spazierte ich einen kleinen Teil meiner ehemaligen Laufstrecke ab um nach "meinem Kissen" zu sehen.

Entdeckt hatte ich es Anfangs 2009. Das Kissen hing einfach eines Tages in luftiger Höhe an einem Baum und baumelte hin und her (siehe blog: 'Psychohygiene' vom 01. Februar 2009). Von da an sahen wir uns regelmässig beim Rennen, das Kissen und ich (siehe blog: 'Was ich sehe wenn ich renne!' vom 20. März 2010). Und mit der Zeit wurde es "mein Kissen". Und mit fortschreitender Krankheit wurde mein Kissen zu einem Sinnbild für mein Leben, das mittlerweile sprichwörtlich an einem Faden hängt.
Es wurde ein Spiel: Solange mein Kissen noch in luftiger Höhe hängt, sage ich mir, habe ich gute Karten in der Hand. Wenn es nicht mehr hängt, dann eben schlechte!

Als wir schliesslich unter dem besagten Baum standen, war mein Kissen noch da! Wir freuten uns über seinen Anblick. Da baumelt es immer noch - lange 2½ Jahre - und trotzt Wind und Wetter! Die Füllung quillt aus allen Nähten und die Distanz zwischen luftiger Höhe und Boden hat sich um einiges verringert. Aber es ist noch da!

Ich weiss: Letztendlich kann das graue Kissen nichts an meiner Situation als Krebskranke ändern. Die verbleibende Zeit meines Leben kann ich nicht von einem baumelnden Kissen abhängig machen, das wäre einfach nur Mumpitz und Aberglaube... Aber es ist trotzdem schön zu wissen, dass mein Kissen noch immer lebt...

Oktober 2011: Das Kissen lebt immer noch!





Sonntag, 16. Oktober 2011

Aschenfreiheit

Als mir mein Liebster augenzwinkernd die Zeitung zum Lesen gab, meinte er schmunzelnd: Vielleicht sollte ich deine Asche zu einer Schallplatte verarbeiten lassen. Auf der leeren Vinylscheibe wärst du dann als Knistern zu hören...¹

Amüsiert las ich, dass man aus der Asche der lieben Verstorbenen einen synthetischen Diamant herstellen lassen kann, dass die Asche in die ewige Stille des Weltall geschossen oder eben zu dreissig Schallplatten gepresst werden kann (wahlweise auch mit Musik).

Vor dem Sterben habe ich keine Angst, denn sterben gehört zum Leben. Aber vor der Vorstellung, dass dreissig meiner Freunde eine Vinylscheibe als Erinnerungsstück in ihren Händen halten würden, hingegen schon.
Grauslig...

Als ich vor zwei Monaten das Gefühl hatte, am Abgrund zu stehen, dass ich vielleicht bald sterben könnte, machte ich mir Gedanken, wie und wo meine Asche letztendlich aufbewahrt werden sollte.
Irgendwo an einem von meinem Liebsten ausgewählten Platz wird meine Asche in der Natur verstreut. Das nennt sich hierzulande im Fachjargon "Aschenfreiheit"

¹Thomas Wyss: "Urne? Nein, lieber Schallplatte!", Tages-Anzeiger 7.10.2011






Samstag, 8. Oktober 2011

Von Wehmut und Mut

Zuhause sammeln sich die Startnummern von Laufveranstaltungen, an die ich mich zu Jahresbeginn angemeldet habe und die ich gerne noch gelaufen wäre. Sie hängen an meiner Pinnwand.
Wehmut? Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, wenn ich sie betrachte. Denn in diesem Jahr hätte ich in meiner Alterskategorie ein gutes Gesamtresultat im Züri Laufcup erzielen können. Doch der Krebs hat mir einmal mehr einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht...
Ein Comeback ist unmöglich. Das Laufen gehört nun endgültig zu meiner Vergangenheit. Ich komme damit erstaunlicherweise sehr gut zurecht, obwohl ich schon fast ein Laufjunkie war...

Momentan habe ich mich soweit erholt, dass ich zu meiner Freude am Freitag mit einer neuen Therapie in Tablettenform (Tyverb® Lapatinib in einer kleinen Dosierung) beginnen konnte. Ein Medikament, das die Blut-Hirn-Schranke passieren kann.
Trotzdem ist mir klar: Meine Kleinhirn-Metastasen sind nicht einfach so verschwunden. Sie sitzen auch nicht untätig herum. Sicherlich entwickeln sie neue Strategien, um sich irgendwann wieder ausbreiten zu können.
Im Moment verhalten sie sich ruhig und werden hoffentlich durch die neue Therapie für einige Zeit in Schach gehalten. Mein Zustand wird sich in Wellen bewegen. Eine fragile Angelegenheit! Aber vorläufig bin ich und mein Care Team erst einmal am Drücker, das macht Mut!






Sonntag, 2. Oktober 2011

So lala

Mir geht es "so lala"!
Ich mag die Lautmalerei und Scherzhaftigkeit von so lala.
Schwingt in den beiden Worten nicht unüberhörbar ein versöhnlicher Klang auf Besserung mit?

Seit gut einer Woche habe ich das Gefühl, dass ich nicht nur einfach am Abgrund stehe, sondern mich nun immer mehr davon entferne. Wenn auch in ganz kleinen (Fort)schritten! Mein linker Fuss schlurft immer noch mit leichter Verzögerung mit mir durch das Quartier. Am Abend - müde und schwach auf den Beinen - kommt es vor, dass ich den Kontakt zu meinem Fussgelenk verliere und ich einknicke und bäuchlings auf dem Fussboden lande.
Autsch!
Ich hoffe nur, dass diese lästige Schwäche nicht mit meinen Metastasen im Kleinhirn zusammenhängen könnten, wie meine Onkologin Frau St. vermutet. Ein MRI wird es an den Tag bringen...

Vorläufig weiss ich mir aber als ehemalige Läuferin zu helfen, indem ich regelmässig versuche mit dem Theraband und dem Yogaband meine Beinmuskeln und -nerven und das Fussgelenk wieder zu aktivieren! Als Fliegengewicht brauche ich dabei viel Körperkraft. Aber diese Übungen zeigen ihre ersten Wirkungen: ich habe seit langem erstmals wieder einmal Muskelkater.
Wacht auf ihr müden Muskeln!