Samstag, 4. Dezember 2010

Aussätzig

Diese Woche sitze ich mit vielen werdenden Müttern und einigen Begleitvätern im Wartezimmer der Maternité, das werdende Leben wölbt sich mir kugelförmig entgegen.
Nach der Besprechung richte ich mich mit meinem fliegenden Teppich im weihnachtlich geschmückten Ambulatorium ein. Der Termin für das bevorstehende CT und den Besprechungstermin einige Tage später steht fest! Doch zuerst erhalte ich meine Infusion mit Herceptin und meine letzte Chemotherapie mit Navelbine.

Unvorhergesehen verzögert sich die Abgabe meiner Infusionen bis in den späten Nachmittag. Das stört mich nicht weiter, denn wie immer habe ich ein Buch dabei. Als die letzten Tropfen des Herceptins kurz vor fünf durch das Schläuchlein träufeln betätige ich die Klingel. Einmal, zweimal...
Eine in weiss gekleidete Pflegefachfperson steht - hochschwanger - in mindestens zwei Metern Entfernung vor mir und fragt, weshalb ich geläutet hätte. Ich bitte sie, mir die Pflegefachfrau B. herbei zu rufen, damit sie mir Chemotherapie anhängen könne. Doch sie kann sie nicht finden.
Ich bitte sie höflich, ob sie nicht wenigstens nachsehen könnte, ob die Salzlösung noch genügend tropft. Mit einer ablehnenden Geste wirft sie die Arme in die Höhe. Leicht hysterisch gibt sie mir, immer noch mit Sicherheitsabstand, zu verstehen, dass sie hier aber auch rein gar nichts antaste und verändere, schliesslich sei sie Hebamme, zudem hochschwanger und wisse was Chemotherapie bedeute. Dabei wolle sie mir nicht zu nahe treten...
Hat sie aber mit voller Wucht! Ich bin nicht ansteckend, aussätzig und leprös. Und mein Infusionsständer ist auch keine Sprinkleranlage, die Zytostatika versprüht!
Schliesslich kriege ich doch noch meine Navelbine-Infusion und werde von den Pflegefachfrauen getröstet. Für heute habe ich genug von Frauen mit Bäuchen voll prallen Lebens und flüchte in die Nacht!