Sonntag, 28. November 2010

Strahlen 2

In einer der letzten Sprechstunden sprach meine Onkologin von der Option, dass meine Chemotherapie Navelbine nach sechs Zyklen noch nicht zu Ende wäre und ausgedehnt würde, falls sich mein TM weiterhin signifikant in Richtung abwärts bewegen würde!
Doch der letzte TM-Wert zeigte nun, dass er sich bei einem Wert von 220 einzupendeln scheint und somit die Wirksamkeit dieser Chemotherapie ihren Zenit bereits erreicht, wenn nicht schon überschritten hat.

Da die letzte Infusion auf den Freitag vor den Silvesterlauf fallen würde, bitte ich meine Onkologin Frau S. darum, den Chemotermin doch um eine Woche zu verschieben. Sie findet, dass ich nach der neusten TM-Entwicklung sogar darauf verzichten kann. Das kommt mir als Läuferin für einmal sehr gelegen! Dafür lässt sie mich kurz nach dem Silvesterlauf wieder einmal durch die Röhre fahren, bzw. strahlen.


  



Samstag, 20. November 2010

Strahlen 1

Am Abend vor meiner Chemotherapie entspanne ich mich zusammen mit meinem Liebsten an einem Konzert von Scout Niblett im Clubraum der Roten Fabrik. Ihre Songs sind minimal instrumentiert: Scout begleitet sich mit zarten bis schroffen Riffen auf ihrer Gitarre, manchmal untermalt von den kräftigen Beats des Schlagzeugers Daniel Sigmund Henry Wilson. Eine laute Stratocaster unter Strom. Eine sympathische, zu Beginn des Konzertes äusserst konzentrierte und zurückhaltende Persönlichkeit, die sich im Verlauf des Konzertes immer mehr öffnet und auch ihre witzigen Seiten zeigt. Am Ende ist die Scheuheit ganz verflogen, die zwei Weingläser, die sie zu Beginn auf ihrem Gitarrenkoffer platziert hatte, sind leer und es kommt zu kleinen Interventionen zwischen ihr und dem Publikum. Ein Song beeindruckt mich sehr. Scout trägt ihn am Schlagzeug vor, das sie voller Energie bearbeitet: We're all gonna die but we don't know when and where. So einfach ist es. Thanks, Scout!

Shining Scout Niblett
, Zürich 2010






Sonntag, 14. November 2010

Ballast abwerfen

Es lag nicht nur am Herbst mit seinen fallenden Blättern, sondern auch am Wissen um meine Krankheit, dass in mir seit geraumer Zeit das Bedürfnis aufkeimte, mein Office neu zu ordnen und umzugestalten.

Neben meinem Arbeitstisch, meinem Lista Schubladenschrank und einem Aktenregal soll zukünftig ein schmales Bett zu stehen kommen.
Ein Bett am Arbeitsplatz bietet mir viele Annehmlichkeiten:
-Wenn mein Rücken schmerzt und das Sitzen wieder einmal sehr mühsam wird, ist es mir möglich liegend am Laptop zu arbeiten.
-Zudem ist es mir Zuflucht für meine täglichen Mittagsnickerchen.
-In den Nächten, wenn unsere Nachtruhe durch meine Hitzewallungen aufs empfindlichste gestört wird und unser Ehebett in Flammen aufzugehen droht, kann ich mich im "Ersatzbett" abkühlen.
-Und wenn mein Liebster zu laut schnarcht, ist er dort mit seinem Lärm alleine.

In meiner chemofreien Woche landete ein grosser Teil meines Lebens als Gestalterin in der Müllabfuhr. Nur das Nötigste und Wichtigste blieb und fand Gnade vor dem Ende in der Verbrennungsanstalt.
Danach stand ich glücklich und entschlackt in meinem Office und vor meinem imaginären Auge nahm das noch fehlende Bett Gestalt an...






Sonntag, 7. November 2010

Geschmacksverstauchung

Das Zytostatika Navelbine (Zytos = Zelle; statikos = hemmen) lässt meine Tumormarkerwerte weiter absinken.
Ich habe bereits vier von insgesamt sechs vorgesehenen Zyklen hinter mich gebracht.

Kein Medikament ohne Nebenwirkungen! Nebst meiner morgendlichen Antriebslosigkeit, dem leichtem Schwindel und der Gelenkschmerzen leide ich inzwischen immer mal wieder an juckenden Hautveränderungen auf meinen Handflächen und gelegentlichen Krampfanfällen in Fingern und Fusszehen...

Während meiner bisher erhaltenen Chemotherapien blieb ich glücklicherweise von Geschmacksstörungen verschont. Jetzt aber sind sie da! Nachdem ich jeweils meinen Cocktail erhalten habe, lässt meine Zunge und mein Gaumen die Erinnerungen an vermeintlich Köstliches wie Seifenblasen zerplatzen. Süsses schmeckt weniger süss und bitteres kann bitterer schmecken.

Der mit gerösteten Reiskörnern angereicherte Grüntee, mein Lieblingstee, hinterlässt in meinem Gaumen einen unangenehmen Geschmack von Metall. Der Apfel schmeckt viel saurer als ich es gewohnt war (zu meiner Freude aber neutralisiert er den Geschmack von Metall in meinem Gaumen).
Das Jogurt, die Banane, die Kartoffel schmeckt - wie so vieles andere - einfach nur nach Karton!
Mein Geruchssinn lässt mich zeitweise aus der Küche flüchten, wenn herrliche Essensdüfte in alle Himmelsrichtungen strömen!
Wäre da nicht der italienische Weichkäse mit dem wohlklingenden Namen "Gorgonzola Cremoso Oro", der auf meiner Zunge vertraute, salzige, cremige Spuren hinterlässt, ich müsste über meine Geschmacksverstauchung verzweifeln!

Ob Metall oder Karton — ich achte nach wie vor darauf, mich ausgewogen zu ernähren und versuche meine Geschmacksnerven, wenn irgendwie möglich, zu kitzeln und zu überlisten!