Samstag, 28. August 2010

Von Pappe, Blister und Tabletten

Vor einem Jahr habe ich begonnen das Verpackungsmaterial meiner Medikamente zu sammeln. Inzwischen lassen sich damit kleine, beeindruckende Hügellandschaften bilden!

Viele Verpackungen sind sogenannte Blister, Durchdrück-packungen, die zur Einzelentnahme von Tabletten dienen. Da liegen sie nun, die Verpackungen aus Pappe und die Blister mit ihren leeren Vertiefungen aus Kunststofffolie, einst gefüllt mit gelben oder weissen Tabletten, meinen "little helpers" gegen den Krebs und seine Nebenwirkungen...

Ich habe sie alle gezählt:
Es sind 10 Produkteverpackungen aus Pappe und 34 Blister aus Kunstoff. Insgesamt 427 Tabletten, die ich über das vergangene Jahr, Tablette für Tablette, in meinem Innern verschwinden liess, auf dass sie ihre Mission als Aromastasehemmer oder Schmerzmittel erfüllen mögen.
Dabei ist zu erwähnen, dass ich während der hälbjährigen Chemotherapie auf die tägliche Einnahme von Aromastasehemmer verzichten konnte und sich in dieser Zeit mein Tablettenkonsum mehr oder weniger auf die Einnahme von Schmerzstiller beschränkt hatte.
Ich habe gerechnet:
Meine Durchschnittswerte liegen schliesslich bei einer Tagesration von 1.186 Tablette. Ich bin erstaunt, dass sich trotz der imposant wirkenden Hügellandschaft der Durchschnittswert meines täglichen Tabletten-konsums doch eher recht bescheiden ausnimmt... Und das bei meiner bedrohlichen Krankheit!
Amüsantes Detail:
Zufall, Schicksal, was auch immer, die Quersumme von 427 ergibt 13, zudem lässt sich 427 in zwei Primfaktoren zerlegen, 7 mal 61. Glücklicherweise bin ich nicht abergläubisch!






Sonntag, 22. August 2010

Christoph Schlingensief

Heute lese ich, dass Christoph Schlingensief, ein von mir sehr geschätzter Regisseur und Künstler, am Samstag seinem Krebsleiden erlegen ist.
Es macht mich traurig und sprachlos — Es geht immer zu schnell!
Noch im Dezember durfte ich ihn anlässlich seiner Inszenierung "Sterben lernen!" im Theater Neumarkt erleben. (Perle vom 13. Dezember 2009)
So werde ich mich an ihn erinnern...

"So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!" Kiepenheuer & Witsch




Rosafarbene Catharanthe

Um Genaues über die Wirkstoffe meiner neuen Chemotherapie zu erfahren habe ich im Web über das Medikament nachgeforscht. Ich möchte verstehen, was da unter dem Namen Navelbine® in meinen Körper gelangt und was es bewirken soll.

Navelbine® (auch bekannt Vinorelbin) ist recht einzigartig unter den Chemotherapeutika. Die meisten Chemotherapeutika sind völlig synthetisch, hingegen ist Navelbine eine semi-synthetische Droge, die von einer blühenden Pflanze als Immergrün bekannt extrahiert wird.In der Pflanze Catharanthus roseus, synonym Vinca rosea — Rosafarbene Catharanthe auch Madagaskar Immergrün, wurden über 70 Alkaloide entdeckt, die eine biologische Wirkung besitzen und von medizinischem Interesse sind.
Das Hauptalkaloid in Catharanthus roseus ist Vindolin aus der Wurzel. Bedeutender sind jedoch Vinblastin und Vincristin. Diese beiden Alkaloide werden als Zytostatika in der Chemotherapie eingesetzt. Was sagt uns Wikipedia: diese Pflanze hat es in sich...
Navelbine® kann die Ausbreitung von Krebs verlangsamen und die vorhandenen Krebszellen abtöten und treibt diese in einen "zellulären Selbstmord"! Die Nebenwirkungen dieser Chemo-therapie sollen laut meiner Onkologin verhältnismässig gering sein.
Aber was heisst das schon! Nach den ersten zwei Infusionen kämpfe ich wieder gegen die Müdigkeit, Schmerzen im Rücken, ein leichtes Unwohlsein, und erstmals während einer Chemo gegen unangenehme rosafarbene Pusteln auf meiner Zunge!
Die semi-synthetische Droge mit ihren Nebenwirkungen bringt meinen bisherigen Lebensrhythmus ganz schön durcheinander und ich habe Mühe mich wieder an die neue Situation zu gewöhnen. Aber ich werde mich schon daran gewöhnen...

So mobilisiere ich wieder einmal meine positiven Kräfte: Ich mag rosafarbene Blumen und wenn sie wie die Rosafarbene Catharanthe über heilende Kräfte verfügen, umso besser!
Ich hoffe sehnlichst, dass durch die neue Chemotherapie meine Zellen den ultimativen Massenselbstmord begehen und meine unliebsamen Metastasen durch das Killerinverno eliminiert werden können... 

Illustration aus www.meinbrustkrebs.net / Therapien / Seite 19-20






Sonntag, 15. August 2010

Schon wieder!

Auf dem Nachhauseweg vom Spital lese ich in einer Abendzeitung eine Meldung über eine Krebsschwindlerin, die mit rasierten Augenbrauen, Glatze und traurigem Blick so tat, als wäre sie an Krebs erkrankt und sich auf diese Weise fünftausend Franken verdiente oder vielmehr erschwindelte! Die Frau wurde inzwischen in eine Klinik eingeliefert, da sie an einer Persönlichkeitsstörung leide...

Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich weder an keiner Persönlichkeitsstörung leide noch eine Schwindlerin bin, die mit ihrer Krankheit Geld verdient.
Bei mir ist der Krebs echt und erneut zu einer Bedrohung geworden!
Ich bin wieder da angekommen, wo ich im Spätsommer vor einem Jahr stehen geblieben war. Ich trete sozusagen vor Ort. Die Untersuchungswerte des aktuellen CTs sind nicht viel anders als die Resultate vor einem Jahr: unerfreulich. Schon wieder haben sich die Metastasen auf meinen Knochen ausgebreitet und der kleine Leberfleck von 8mm Grösse - laut Untersuchungsbericht eine mögliche Metastase - strahlt wieder genauso vor sich hin...

Dieses Mal wird mir eine Chemotherapie mit dem wohlklingenden Namen Navelbine® verabreicht (der Name erinnert mich natürlich an Bienen). Meine Haare werden mir nicht ausfallen, so dass rein äusserlich keine grossen sichtbaren Spuren erkennbar sein werden.
Ein weiteres Mal beginnt der medikamentöse Krieg gegen meine Metas, um diese unter Kontrolle zu kriegen und möglichst viele Krebszellen zu zerstören.






Krebs erschnüffeln


NZZ am Sonntag, 15. August 2010


 




Sonntag, 8. August 2010

Da muss ich durch!

Als Kind habe ich mir jeweils am Autofenster oder am Zugfenster erwartungsvoll die Nase flach gedrückt, bis ich die nahende Tunnelöffnung als ein immer grösser werdender Punkt ausmachen konnte, um für einen Bruchteil einer Sekunde blindlings im blendenden Tageslicht die Orientierung zu verlieren...

So würde ich mein momentaner Gemütszustand vor der nächsten Sprechstunde beschreiben.

Danke Iren für den Daibutsu.






Sonntag, 1. August 2010

Schmerzegal

Nach der Fahrt durch die Röhre ist kein Weisskittel vor Ort, der mich mit einer Grobdiagnose aus dem Untergeschoss des Stadtspitals Triemli entlässt. Ein weiteres Mal muss ich mich in Geduld üben, bis ich in zwei Wochen in der Onkologie-Sprechstunde das Ergebnis der CT-Untersuchung erfahren werde. Während dieser zermürbenden Zeit des Wartens sitzt mir meine alte Bekannte, "die Angst", wieder einmal unermüdlich im Nacken. Manchmal kommt sie winzig klein, manchmal überdimensioniert gross daher. Sie haftet wie eine Klette an mir. Durch Anwendung meiner beiden Schmerz-Strategien versuche ich sie mir vom Hals zu schaffen:
Die Sport-Strategie
Ich absolviere, wann immer möglich, meine regelmässigen Lauftrainings. Die sportliche Tätigkeit in der Natur ist Balsam für meine Seele. Dabei wird die Kalziumproduktion angeregt und meine Klapperknochen werden ausreichend mit lebenswichtigen Stoffen versorgt. Zudem schüttet mein Hirn massenhaft Glückshormone aus, welche die Angst vorübergehend im Keime ersticken. Beim Schwimmen tauche ich ab und die Angst geht buchstäblich baden...
Die Fleiss-Strategie
Ich entwickle ungeahnte Energien und bin richtig fleissig. Die Angst ignorierend sitze ich am Arbeitstisch bis mich der Schmerz beinahe vom Stuhl kippen lässt...

In diesem Sinne übe ich mich in diesen Tagen weiterhin in strategischer Geduld...

Ich Fuss voran in der Röhre, 26.07.2010!